Im Gespräch mit Herwig Dust, Leiter der Geschäftsstelle des Niederdeutschen Bühnenbundes Niedersachsen und Bremen e.V.
Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich bin Herwig Dust, gebürtig aus dem Emsland und seit 1975 Mitglied der August-Hinrichs-Bühne am Oldenburgischen Staatstheater (AHB). Diese habe ich zwanzig Jahre lang geleitet. Seit 1995 bin ich Vizepräsident des Niederdeutschen Bühnenbundes Niedersachsen und Bremen e.V. (NBB). Drei Jahre später übernahm ich die Leitung der Geschäftsstelle des NBB in Oldenburg. Im Rahmen meiner Tätigkeit bin dafür zuständig, Kontakt zu den angeschlossenen 16 Mitgliedsbühnen zu halten, Seminare, Tagungen und Sitzungen zu planen und vorzubereiten. In meinen Bereich fallen auch das Jugendtheaterfestival und der Willy-Beutz-Schauspielpreis zur Förderung des niederdeutschen Schauspiels. Außerdem bin ich zuständig für die Herausgabe des jährlichen Seminarkalenders und des monatlich erscheinenden „Theater-Zedel“. Und natürlich gehört auch die Kontaktpflege zum Ministerium der Wissenschaft und Kultur, zum Niedersächsichen Heimatbund, zur Uni Oldenburg, zu den Landschaften, Verlagen etc. dazu.
Für das Plattdeutsche engagiere ich mich darüber hinaus im Rahmen meiner Tätigkeit als Vizepräsident beim Institut für niederdeutsche Sprache e.V.
Wie ist Ihr Zugang zum Niederdeutschen und zum niederdeutschen Theater?
1975 gab es von der August-Hinrichs-Bühne Oldenburg einen Aufruf um Nachwuchs für die Bühne zu finden. Dort habe ich mit Hilfe von Mitwirkenden der Bühne die niederdeutsche Sprache gelernt. Ich hatte vorher nur wenige Vorkenntnisse. Man kann also sagen, dass ich durch das Theaterspielen zum Niederdeutschen gefunden habe.
Wie sieht die niederdeutsche Theaterlandschaft in Niedersachsen und Bremen aus?
Das niederdeutsche Theater, das seit 2014 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO in die nationale Liste aufgenommen ist, genießt einen hohen Stellenwert im Kulturleben des Flächenlandes Niedersachsen. Dabei sind regionale Unterschiede zwischen Stadt und Land festzustellen. Der NBB mit seinen 16 Mitgliedsbühnen stellt den semiprofessionellen Bereich des niederdeutschen Theaters dar. Durchschnittlich hat jede Bühne 2-4 Inszenierungen pro Spielzeit. Dann gibt es noch kleinere Gruppen, die nicht dem Bühnenbund angehören. Die Vielzahl der spielenden Theatergruppen wie Speeldeels und sonstiger Vereinigungen ist allerdings nicht genau belegbar. Hier wird zurzeit an einer Erfassung der Gruppen gearbeitet. Ich schätze für Niedersachsen die Zahl auf ca. 900, die mindestens einmal jährlich ein plattdeutsches Theaterstück aufführen. Viele Bühnen haben eigene Jugendtheatergruppen, die durch das Ensemble betreut, oder von extra engagierten Regisseur*innen und Theaterpädagog*innen angeleitet werden. Diese Gruppen stellen Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche dar, an die niederdeutsche Sprache herangeführt zu werden.
Wie fördert der Bühnenbund Niedersachsen und Bremen das niederdeutsche Jugendtheater?
Der NBB fördert das Jugendtheater durch besondere Aktionen und Finanzmittel. Seit 12 Jahren gibt es das jährliche Jugendtheaterfestival des NBB an unterschiedlichen Orten. Für die Organisation vor Ort sind die jeweiligen ortsansässigen Bühnen verantwortlich. (Unterkunft, Verpflegung, Vorstellungsbetrieb) Die Kosten werden vom NBB getragen.
Was ist das Besondere an dem niederdeutschen Jugendtheaterfestival?
Die Jugendtheatergruppen zeigen ihre einstudierten Produktionen. An dem Festival nehmen jährlich gut 200 Teilnehmer*Innen teil. Die gezeigten Stücke sind in der Regel „Eigenproduktionen“. Inhalte und Dramatisierung werden von den Jugendlichen in Eigenverantwortung erstellt. Das Theaterspielen ist ein sich öffnen gegenüber Gleichgesinnten, ein gemeinsamer Ausstauch von Interessen und natürlich auch Bewunderung der unterschiedlichen Leistungsstandarts. Alle Teilnehmenden können sich beim Festival kennenlernen. Häufig entstehen Kontakte, die über das Festival hinaus gehen, z.B. die Möglichkeit, als Jugendliche im Ensemble der „Heimatbühne“ eingesetzt zu werden. Seit ein paar Jahren gibt es auch Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten während des Festivals, wie Workshops zum Thema Körpersprache oder Gesang.
Worin liegt Ihrer Meinung nach das Potenzial für Jugendliche niederdeutsches Theater zu spielen?
Theaterspielen ist seit eh und je der Wunsch vieler Kinder und Jugendlicher. Typisch hierfür: sich verkleiden, Rollenfindung, die Möglichkeit zu haben, jemand anders zu sein. Im Gegensatz zum hochdeutschen Theater gibt es erheblich mehr niederdeutsch spielende Theatergruppen. Gerade im ländlichen Raum nimmt das plattdeutsche Theaterspielen eine wichtige Funktion für die Freizeitgestaltung ein. Die Jugendlichen finden das Kennenlernen einer neuen Sprache spannend und können diese über das Theaterspielen schnell erlernen. Im Gegensatz zum hochdeutschen Theater sprechen wir beim niederdeutschen vom Drei-Generationstheater. Alle Generation können aktiv als auch passiv (z.B. hinter der Bühne bei der Technik) am Theatergeschehen teilnehmen. Es gibt einen großen Fundus an spielbaren Stücken, in denen drei Generationen gemeinsam auf der Bühne stehen können.
Was wünschen Sie sich für das niederdeutsche Jugendtheater?
Der Hauptgrund, warum sich viele Theatergruppen auflösen (gilt auch für den NBB), ist das Fehlen des Nachwuchses. Hier gilt es insbesondere für die Verantwortlichen intensiv die Förderung und das Gewinnen junger Menschen zu unterstützen. Die niederdeutsche Sprache, wie häufig argumentiert wird, darf dabei kein Hindernis sein – vielmehr ist sie ein „Mehr“. Ein weiteres Hemmnis sind bedauerlicherweise auch konservative Strukturen in den Vereinen. Der Hinweis an die „Neuankömmlinge“ dass sie „kein richtiges Platt“ sprechen, oder „keine Plattdeutschen“ sind, ist kontraproduktiv und darf nicht akzeptiert werden. Seien wir froh, wenn junge Menschen Lust haben, sich dem Plattdeutschen zu nähern. Hilfestellung und Unterstützung muss oberstes Gebot für ein Fortbestehen des niederdeutschen Theaters sein. Die niederdeutsche Sprache im Zusammenspiel mit dem Theater ist ein wichtiges und erhaltenswertes Kulturgut, das es zu pflegen und zu schützen gilt.
Zum Weiterlesen:
- Programmheft des 11. Niederdeutsches Jugendtheaterfestivals des Niederdeutschen Bühnenbundes Niedersachsen und Bremen e.V. 2019 in Varel
- Vortrag Herwig Dust zur Aufnahme des Niederdeutschen Theaters als kulturelle Ausdrucksform in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes im Sinne des UNESCO-Übereinkommens
Titelbild: Teilnehmer*innen des Jugendtheaterfestivals 2019 in Varel. Quelle: Andres Tietjen, OHZ