Im Gespräch mit Christian Peplow, Leiter des Niederdeutschen Bühnenbundes Mecklenburg/Vorpommern e.V.
Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Mein Name ist Christian Peplow und ich bin 39 Jahre alt. Ich bin Historiker und arbeite seit 2019 für den Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. Ich leite für den HMV die Geschäftsstelle in Vorpommern und kümmere mich in diesem Zusammenhang u. a. um den Bereich Niederdeutsch in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2016 leite ich als Vorsitzender den Niederdeutschen Bühnenbund Mecklenburg/Vorpommern e.V. Dem aktuellen Vorstand gehören Marion Suri (Niederdeutsche Bühne Neubrandenburg) und Tom Roloff (Niederdeutsche Bühne Schönberg) an. Darüber hinaus bin ich seit 27 Jahren Mitglied in einer niederdeutschen Theaterbühne.
Was sind die Aufgaben des Niederdeutschen Bühnenbundes Mecklenburg/Vorpommern e.V.?
Der NBB-MV e.V. vertritt die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder gegenüber Institutionen, Organisationen, Einrichtungen und Firmen sowie in der Zusammenarbeit mit den Bühnenbünden Schleswig-Holstein und Niedersachsen/Bremen. Der Vorstand des NBB-MV e.V. übernimmt zudem zahlreiche repräsentative Aufgaben im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und sorgt durch seine Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, am Niederdeutschbeirat/Beirat für Heimatpflege und Niederdeutsch des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern dafür, dass das niederdeutsche Bühnenspiel Aufmerksamkeit erfährt, kontinuierlich gepflegt und gefördert wird. Zweck des Bühnenbundes ist es, gemeinsam mit seinen angeschlossenen Bühnen (Neubrandenburg, Rostock, Schönberg, Stralsund und Wismar) in anspruchsvoller Weise durch das Mittel der darstellenden Kunst zur Erhaltung und Förderung der niederdeutschen Sprache beizutragen. Bis vor ein paar Jahren war der Bühnenbund zudem für die Beantragung der Fördermittel für die niederdeutschen Bühnen zuständig. Wir sind gerade dabei, neue Aufgabenfelder zu erschließen, um die Arbeit unserer Mitgliedsbühnen auch weiterhin zu unterstützen. Daneben versteht sich Bühnenbund auch als wichtiger Ansprechpartner für alle Anfragen rund um das niederdeutsche Theater in Mecklenburg-Vorpommern. Wo es uns möglich ist, stehen wir gerne als Kooperationspartner bereit, um Projekte rund um das Niederdeutsche zu unterstützen.
Wie sind Ihre eigenen Zugänge zum Niederdeutschen? Spielen Sie selbst niederdeutsches Theater?
Ich selbst bin seit 1993 Mitglied der Plattdütsch Späldäl to Stralsund e.V. und spiele seit dieser Zeit regelmäßig niederdeutsches Theater. Ich blicke also durchaus auf eine längere plattdeutsche Laientheaterkariere zurück. Wobei „lang“ ein relativer Begriff ist. Wir haben in MV in unseren Bühnen Mitglieder, die bereits 50, 60 oder noch mehr Jahre niederdeutsches Theater spielen. Das finde ich unglaublich beeindruckend. Mein eigener Zugang zum Niederdeutschen liegt in meiner Familie. Mein Vater ist noch ein plattdeutscher Muttersprachler, und so habe ich bereits seit meinen Kinderzeiten das Niederdeutsche ganz stark um mich herum gehabt. Bis heute hat es mich nicht losgelassen und ist mir ein wertvoller Wegbegleiter. In letzter Zeit versuche ich mich zudem an der Inszenierung von niederdeutschen Stücken und Kurzprogrammen.
Was fasziniert Sie am niederdeutschen Theater?
Auch, wenn es banal klingt: Zunächst einmal das Theater selbst. Mit allem was dazu gehört. Die Bühne, die Technik, Kostüm und Maske und die magische Welt hinter der Bühne. Das niederdeutsche Theater ist dann das besondere I-Tüpfelchen. Gerade durch die regionale Sprache Niederdeutsch widmen sich viele Stücke regionalen Ereignissen und Besonderheiten. Das verbindet mit der eigenen Heimat, mit den eigenen Wurzeln und Traditionen. Ferner finde ich es großartig, dass die niederdeutsche Sprache mit ihren vielen Dialekten so variationsreich daherkommt. Ich bin sehr gerne bei den Kolleginnen und Kollegen der anderen Bundesländer zu Gast und schaue mir ein Stück in der jeweiligen regionalen Sprachvariante an. Diese Vielfalt, die das niederdeutsche Theater zu bieten hat, ist absolut faszinierend. Darüber hinaus ist aus meiner Sicht das niederdeutsche Theater perfekt dafür geeignet, einen spielerischen, behutsamen und unverkrampften/unkomplizierten Zugang zur niederdeutschen Sprache zu gewähren.
Wie sieht die niederdeutsche Theaterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern aus?
Ich beantworte diese Frage ganz ehrlich: Ich weiß es derzeit nicht genau. Neben den eingangs genannten fünf Laientheaterbühnen in Neubrandenburg, Rostock, Schönberg, Stralsund und Wismar gibt es in Mecklenburg-Vorpommern noch die Fritz-Reuter-Bühne in Schwerin. Diese ist eine professionelle Bühne und kann aus diesem Grund nicht Mitglied im Bühnenbund sein. Zu guter Letzt sind da noch die Darß-Festspiele in Born a. Darß zu nennen, die seit vielen Jahren auch regelmäßig plattdeutsche und missingsche Aufführungen ihrer Inszenierungen anbieten. Auf diesem Stand zur niederdeutschen Theaterlandschaft in MV war ich, als ich 2016 die Leitung des Bühnenbundes übernommen habe. Durch meine seit 2019 bestehende Tätigkeit bin ich aber in der letzten Zeit vermehrt mit Gruppen, Vereinen und Interessengemeinschaften in Kontakt gekommen bzw. habe von solchen gehört, die sich ebenfalls dem niederdeutschen Bühnenspiel widmen. Die niederdeutsche Theaterlandschaft im MV ist also deutlich größer, als mir mein aktueller Horizont weismachen möchte. Eine wichtige Aufgabe für die jüngere Zukunft wird es also sein, den Umfang dieser niederdeutschen Theaterszene zu ermitteln und - sofern gewollt - in den Kreis des NBB-MV zu holen.
Inwieweit fördert der Niederdeutsche Bühnenbund Mecklenburg/Vorpommern das niederdeutsche Jugend-/Nachwuchstheater?
Auch diese Frage ist offen und ehrlich mit „gar nicht“ zu beantworten, wobei mir bewusst ist, dass diese Antwort keineswegs positiv ist. Seit der Gründung des NBB-MV nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde bis heute die Nachwuchsarbeit allein den Mitgliedsbühnen überlassen. Das Ergebnis ist leider fatal. Bis auf die Bühne in Wismar hat meines Wissens keine Bühne eine eigene niederdeutsche Jugendsparte. In Stralsund gab es bis etwa 2010 noch die „Spielbühne Stralsund“ unter der Leitung einer erfahrenen Schauspielerin. Dies war eine Jugendtheatergruppe, die eng mit der Späldäl in Stralsund zusammengearbeitet hat. So wurden durch die Spielbühne niederdeutsche Stücke inszeniert, oder die Kinder und Jugendlichen fanden den Weg zur Späldäl und wirkten hier bei niederdeutschen Inszenierungen mit. Es findet sich wohl immer wieder vereinzelt Nachwuchs bei den Bühnen ein, das sind aber selten Kinder, Jugendliche oder angehende Erwachsene. Das hat seinen Preis. Unsere Bühnen sind stark überaltert. Viele Stücke lassen sich schon kaum noch inszenieren, da Rollen wie „das junge Paar“, „die junge Diern“, „der junge Mann“ oder „das Kind“ nicht mehr besetzt werden können. Es mag durchaus sein, dass mir hier die Kollegen und Kolleginnen der Mitgliedsbühnen nach diesem Interview widersprechen werden. Aber aus Sicht des NBB-MV ist in den letzten Jahren zu wenig in Sachen Jugendarbeit getan worden. Dies muss sich zukünftig ändern. Hier sehe ich den NBB-MV in der Pflicht, mehr zu leisten und die Mitgliedsbühnen durch entsprechende Formate und Programme zu unterstützen. Ich denke, dass ich hier viel bei den Bühnenbünden in Niedersachsen und Bremen sowie in Schleswig-Holstein lernen kann. Dort, so scheint es mir, funktioniert die niederdeutsche Jugend- und Nachwuchsarbeit sehr gut.
Worin liegt Ihrer Meinung nach das Potenzial für Jugendliche, niederdeutsches Theater zu spielen?
Hier greife ich eine Antwort aus der Frage nach der Faszination des niederdeutschen Theaterspielens einfach mal auf: Aus meiner Sicht ist das niederdeutsche Theater perfekt dafür geeignet, einen spielerischen und behutsamen Zugang zur niederdeutschen Sprache zu gewähren. Über das Erproben der Stücke wird die niederdeutsche Sprache leichter aufgenommen. Man lernt Sätze und Versatzstücke, dazu bestimmte Phrasen, die man auch problemlos im alltäglichen Gebrauch anwenden kann. Im Ergebnis erlernt man über das Theaterspielen die niederdeutsche Sprache, trägt damit zur Pflege und zum Erhalt derselben bei. Das bietet den Jugendlichen einen persönlichen Zugang zu ihrer regionalen Sprache und Identität. Das niederdeutsche Theater hat also das so wichtige Potential, Jugendliche für ihre Region, Geschichte und Heimat zu begeistern und verbindet zudem unterschiedliche Generationen.
Was glauben Sie müsste in den folgenden Jahren passieren, um Jugendliche und junge Erwachsene zu motivieren, sich für niederdeutsches Theater zu begeistern und vielleicht sogar selbst niederdeutsches Theater zu spielen?
Wir müssen deutlich machen, dass das niederdeutsche Theater ebenfalls eine großartige Form des Theaterspielens und zu jedem Zeitpunkt konkurrenzfähig ist. Es ist nicht schwerer und auch nicht leichter als das „normale“ Theater. Eventuell müssen wir auch ein wenig das Image aufpolieren. Zu oft wird das niederdeutsche Theater mit altbackenen Stücken in Verbindung gebracht bzw. als Theater für alte Leute wahrgenommen. Dies ist aber definitiv nicht der Fall. Das niederdeutsche Theater hat ein breitgefächertes Repertoire an Stücken und kann viele Facetten des modernen Lebens auf die Bühne bringen. Sogar Musicals sind auf Niederdeutsch möglich, das haben jüngere Inszenierungen deutlich gemacht. Aktuell bewegt sich im Umgang mit dieser Regionalsprache schon Einiges. In Mecklenburg-Vorpommern ist Niederdeutsch z. B. anerkanntes Abiturfach. Wenn wir die Bedeutung und Besonderheit der Sprache noch klarer herausstellen, sie wieder stärker im Alltag verankern, wird auch das niederdeutsche Theater ein besseres Standing und vermehrt Zulauf erhalten. Bei allem ist aber ganz wichtig, keinen Druck durch die niederdeutsche Sprache aufzubauen. Ich kenne das noch aus meinen frühen Jahren. Dort ist man hin und wieder von den erfahrenen Plattschnackern auf eine falsche Aussprache hingewiesen worden. Es wurde immer viel Wert auf die richtige und korrekte Aussprache gelegt. Das hat unnötig Druck aufgebaut. Dies hat mitunter dazu geführt, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene nach einer Zeit gar nicht mehr gekommen und ausgestiegen sind. Ich denke aber, diese Zeiten sind vorbei.
Was wünschen Sie sich im Allgemeinen für das niederdeutsche Jugendtheater?
Da ich persönlich zu wenig Erfahrung mit dem niederdeutschen Jugendtheater und der niederdeutschen Jugendtheaterarbeit habe, ist es schwer, auf diese Frage zu antworten. Ich habe keine validen Einblicke in die Probleme und die positiven Seiten dieser Arbeit. Erlauben Sie mir daher an dieser Stelle eine allgemeine Aussage: Ich wünsche dem niederdeutschen Jugendtheater eine ganze Menge Nachwuchs und noch viel mehr Aufmerksamkeit. Lassen Sie mich zum Abschluss noch folgendes ergänzen: Ehrenamtliche Arbeit benötigt bei allem Enthusiasmus auch materielle Voraussetzungen, die nicht immer von den Ehrenamtlichen selbst aus eigener Kraft geschaffen werden können. Hier müssen die staatlichen und kommunalen Organe stärker sensibilisiert und in die Pflicht genommen werden, zumal das niederdeutsche Theater seit Jahren durch die UNESCO als Immaterielles Kulturerbe anerkannt ist. Dann kann auch dem Nachwuchs besser ein befriedigendes Tätigkeitsfeld und eine Perspektive angeboten werden.
Quellen Fotos:
Porträt Christian Peplow: Rechteinhaber: Fotostudio Wasmund, Greifswald
Beitragsbild: De Kuckuckshoff, Darsteller der Kinder- und Jugendbühne "Spielbühne Stralsund" gemeinsam mit Darstellern der "Plattdütsch Späldäl to Stralsund e.V.". Zu sehen ist eine Szene aus dem Stück "De Kuckuckshoff" von 2008. Das Stück befasste sich mit der Thematik 30jähiger Krieg auf der Insel Ummanz. (Rechteinhaber: Karl Peplow, Stralsund