Spracheinstellung zum Niederdeutschen von Jugendlichen
Interview mit Nico Förster
Stelle dich doch bitte kurz vor.
Ich bin Nico Förster, ich habe gerade meinen Master in Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin gemacht. Davor habe ich an derselben Uni niederländische und Deutsche Philologie im Bachelor studiert und derweil arbeite ich im IT-Bereich, witzigerweise so gar nichts mit Linguistik. Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn es nun mit der Promotion klappt.
Du hast deine Masterarbeit angesprochen. Worum ging es denn darin?
Um die Gefährdung des Niederdeutschen auf Rügen und Hiddensee. Im Speziellen eigentlich um das Niederdeutsche in der jungen Generation auf den beiden Ostseeinseln, und inwiefern die Varietät dort überhaupt noch gesprochen wird, wie sie wahrgenommen wird; inwiefern sie noch eine Rolle im Leben von den Jugendlichen auf den beiden Inseln spielt.
Sehr interessant, sehr relevant. Wie kommt man auf so ein Thema und was hat dich daran fasziniert?
Uff! Die Erklärung ist ein bisschen länger, weil wir sie aus mehreren Perspektiven sehen müssen: Von der akademischen Seite her habe ich in meiner Bachelorarbeit über den Status des Niederländischen auf den ABC-Inseln geschrieben, karibischen Inseln, die auf eine gewisse Art und Weise immer noch zum Königreich der Niederlande gehören. Dort ging es sehr viel um Sprachpolitik und Sprachbildung. Und ich fand das alles mega interessant und dachte mir, das ist eine Art, wie man Linguistik heutzutage gesellschaftlich relevant nutzen kann, um Veränderungen für die Menschen, die dort leben, zu schaffen. Dort gibt es die Kinder, die lange Zeit in der Schule von der ersten Klasse an gezwungen wurden Niederländisch zu reden, obwohl sie es nicht konnten. Und da dachte ich mir, für meine Masterarbeit muss es doch möglich sein, so etwas Relevantes in der Nähe zu finden. So kam ich relativ schnell zum Niederdeutschen. Ich bin selbst auf Rügen geboren und aufgewachsen und das Niederdeutsche gehört für mich schon immer zum eigenen Verständnis von Norddeutschsein dazu - auch wenn ich aktiv gar kein Platt spreche. Es ist Teil meiner eigenen Identität. Das habe ich auf akademische, auf linguistische Weise hinterfragt und dann ist mir aufgefallen: Wer spricht denn eigentlich in meinem Freundeskreis von Rügen überhaupt noch Niederdeutsch? Es sind erschreckend wenige und nun, da wir alle ja Ende 20 Anfang 30 sind gehören wir mittlerweile wahrscheinlich schon mehr zur Elterngeneration als zur jungen Generation. Da dachte ich mir: Ok, aber wie sieht es denn da derzeit aus? Also habe ich angefangen, mich reinzulesen und dachte mir: Ha! Es ist ja doch ein Thema, das gerade sehr präsent ist, und das schon seit einer ganzen Weile dort oben. Und so kam ich dazu. Vor allem interessant war deshalb, weil mein Großvater zu seinen Lebzeiten sehr viel – auch im kulturellen Bereichen zum Niederdeutschen gemacht hat.
Du hat es gerade gesagt, es ist ein relevantes Feld in der Forschung. An welchen Forschungsstand hast du angeknüpft?
Angefangen hat es mit einem Paper, bei dem Jugendliche im Grenzgebiet zu den Niederlanden befragt wurden, unter anderem zum Niederdeutschen, aber auch zu niederländischen Varietäten im Grenzgebiet. Daher kam eigentlich schon die Idee, weil es sehr interessant war zu sehen, wie unterschiedlich Jugendliche im Gegensatz zu anderen Generationen von ihren Kompetenzen und Sprachwahrnehmungen berichtet haben. Daran habe ich die repräsentativen Umfragen angeknüpft, die 2008 vom Institut für niederdeutsche Sprache und 2016 gemeinsam mit dem Institut für Deutsche Sprache (IDS) herausgekommen sind. Die habe ich als Grundlage für meine eigene Umfrage genommen. Ich habe gesehen, die 2000 Befragten sind wunderbar auf alle Bundesländer aufgeteilt, aber wenn man ins Detail geht und guckt: Wie sieht es in Mecklenburg-Vorpommern aus? Dann sind es nur noch ein paar 100 Befragte. Wenn man überlegt, wo kommen diese paar 100 Leute her? Und dann guckt man nach Vorpommern und weiß schon gar nicht mehr: Kommt da überhaupt eine Person von Rügen oder Hiddensee? Dann merkt man relativ schnell, dass es natürlich allumfassend repräsentativ ist, aber für die einzelnen Regionen nicht. Deswegen war es perfekt, um daran vom Forschungsstand her anzuknüpfen.
Wie sah dein Studiendesign aus?
Es wurden sechs verschiedenen Schulen auf Rügen und Hiddensee untersucht. Die ursprüngliche Idee war natürlich alle Schulen zu involvieren, was sich wegen der Pandemie aber nicht umsetzen ließ. Ich habe mich auf die 9. Klassen fokussiert: Bei ab 14-Jährigen funktioniert es mit dem Datenschutz bei vernünftiger Vorab-Aufklärung und anonymisierten Umfragen relativ gut. Außerdem kann man davon ausgehen, dass Jugendliche in der 9. Klasse schon relativ reflektiert mit ihrem eigenen Sprachverhalten umgehen können. Sie haben inzwischen verschiedene Fremdsprachen gelernt und können das relativ gut einschätzen. Und es gibt in allen Schulformen 9. Klassen. Am Ende waren es 280 Jugendliche. Es waren fünf Regionalschulen, davon eine auf Hiddensee und ein Gymnasium auf Rügen.
Wie bist du in deiner Studie methodisch vorgegangen?
Ich habe einen quantitativen Fragebogen erstellt, den die Lehrkräfte ausgeteilt haben. Es gab sowohl Instruktionen für die Lehrkräfte als auch für die Jugendlichen. Es war auch wirklich sehr erfolgreich: Innerhalb von drei Wochen waren alle Fragebogen wieder zurück.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die du aus der Arbeit gewonnen hast?
In erster Linie war sehr interessant zu sehen, dass sich die Ergebnisse bezüglich der aktiven Sprachkompetenz fast mit denen der repräsentativen Umfrage von 2016 decken. Natürlich bedeutet das auch, dass es erschreckend wenige Personen waren, die sich selber als aktiv Niederdeutsch sprechend einschätzen. Das waren, wenn man mäßige als auch gute und sehr gute Sprecher:innen zusammenzählt, 8,2 %. Über 45 % gaben an, gar kein Niederdeutsch zu beherrschen, sowohl passiv als auch aktiv. Ansonsten konnte man relativ viel aus der Umfrage bestätigen. Natürlich verstehen die Jugendlichen mehr, als dass sie es sprechen.
Interessanterweise gab es dahingehend auch keine Korrelationen mit dem Bildungsweg oder den Wohnorten. Birte Arendt hat ja das Buch Niederdeutschdiskurse geschrieben mit den ganzen Topoi, die da angefallen sind und wo auch häufiger gesagt wird, in den Ostseebädern oder in den Städten würden viel weniger Menschen als im ländlichen Raum Niederdeutsch sprechen. Aber dahingehend gab es tatsächlich keine signifikanten Unterschiede.
Die Sichtweise auf die Sprache und deren Förderbedarf wiederum sind doch sehr anders ausgefallen als in der repräsentativen Umfrage. In dieser sprach sich die Mehrheit der Befragten – ob sie die Varietät beherrschen oder nicht – sehr stark dafür aus, dass Niederdeutsch gefördert wird. Bei den Jugendlichen waren die Ergebnisse sehr differenziert: Nur etwa 30 % haben gesagt, dass sie sich mehr Förderung wünschen. Sehr viele waren sich unsicher oder meinten, dass das nicht nötig sei. Das war für mich auch eine Überraschung, aber auf der anderen Seite haben auch ungefähr 25 % aller Jugendlichen, die kein Niederdeutsch sprechen, gesagt, dass sie das gerne lernen würden.
In den Medien ist Niederdeutsch für Jugendliche gerade nicht sonderlich stark vertreten oder das Interesse ist sehr gering, was auch den medialen Formaten geschuldet ist. Im Alltag der Jugendlichen spielt die Sprache keine Rolle, was sich eventuell auch dadurch erklären lässt, dass Sprecher:innen des Niederdeutschen häufig nur mit jenen Niederdeutsch reden, bei denen sie wissen, dass sie es auch können. Meist sprechen sie es auch nur mit anderen in ihrem Alter. Eine der interessantesten Sachen ergab sich bei den Spracheinstellungen: Da hat man gesehen, dass das zu erwartende Stereotyp, das es ja vom Niederdeutschsprecher gibt, gar nicht mehr erfüllt war. Normalerweise wird immer wieder davon berichtet, dass in der Bevölkerung die Niederdeutschsprecher:innen gemütliche, freundliche Personen sind, die sehr humorvoll sind. Man konnte zwar sehen, dass bei den Jugendlichen, die noch selbst angaben, Niederdeutsch mäßig gut zu beherrschen, das Stereotyp wiederzuerkennen war, aber bei den restlichen Jugendlichen gar nicht mehr.
Abkürzungen: Ndt – Niederdeutsch; Sdt - Standarddeutsch
Wo sollte den Schüler:innen nach die Niederdeutsch-Vermittlung stattfinden?
Interessanterweise sahen die Jugendlichen im Gegensatz zu der Umfrage 2016 deutlich mehr die Familien und den Nahbereich dafür in der Verantwortung. Vor allem aber auch die Schulen: Niederdeutsch sollte institutionalisiert gelehrt werden. Bei den Jugendlichen, glaube ich, kam die Antwort Schule vor allem, weil sie es nicht anders kennen. Das ist einfach nicht mehr Teil des Nahbereichs und darum kennen sie, wenn überhaupt, die Auseinandersetzung mit den Niederdeutschen nur noch aus der Schule. Es wurden auch relativ stark Vereine angeben. Natürlich fehlt hier die Differenzierung, was für eine Art von Vereinen überhaupt gemeint sind.
Siehst du noch andere Punkte, die sich verändern müssten, damit das Interesse am Niederdeutschen auch bei Kindern und Jugendlichen wieder wächst?
Zunächst muss man sich überlegen: Warum sollten Jugendliche überhaupt Niederdeutsch sprechen? Vor allem: Warum sollten sie das wollen? Es ist nun mal eine große Aufgabe, eine Sprache im Allgemeinen zu erlernen. Aber das grundlegende Interesse ist ja trotzdem da, wie auch meine Studie zeigt. Wenn Jugendliche sich dazu entschlossen haben Niederdeutsch zu lernen, dann sind sie in der Schule, haben vier, fünf Jahre Sprachunterricht und es hilft ja allgemein auch kognitiv. Aber am Ende ist es so, wie für viele zum Beispiel das Englische in der Schule, wenn man keine Berührungspunkte mehr hat, ist es irgendwann passé.
Ja und man kann auch nicht einfach ins Ausland fahren und Platt lernen und dort dann in einer Sprachgemeinschaft ausleben.
Genau! Deswegen ist es unbedingt erforderlich Sprachanlässe zu schaffen und den Jugendlichen attraktive Angebote zu bieten - einfach mal ein bisschen moderner werden und dann wird das schon.
Welche Desiderate oder Forschungslücken sind dir begegnet? Fällt dir noch was ein, wo junge, angehende Forschende anknüpfen können?
Ich habe es vorhin schon angesprochen, was die Nutzung bei Social Media angeht. Wenn man guckt, welche Forschung es dazu gibt, ist das alles noch relativ dünn. Es gibt ein paar Artikel, die sich mit Niederdeutsch im Internet beschäftigen, die aber häufig auch einfach gucken, wo Niederdeutsch zu finden ist, aber sich damit nie im Speziellen beschäftigen. Zu einer Plattform wie Youtube, bin ich mir ziemlich sicher, gibt es keine Untersuchung. Falls man mal eine Hausarbeit schreiben möchte, kann man sich damit gut auseinandersetzen.
Näher beleuchtet werden müsste ebenfalls die Frage des Niederdeutsch-Stereotypes bei Jugendlichen - verhält es sich in anderen Gegenden ebenso wie auf den Inseln Rügen und Hiddensee? Da kann man auch noch gut untersuchen, woran es liegt, dass es bei den Jugendlichen nicht mehr bekannt war.
Wenn man davon ausgeht, dass ich durch die Masterarbeit eine gewisse Lücke auf Rügen und Hiddensee bedient habe, gibt es eigentlich flächendeckend Lücken. Die 2016er Umfrage war sehr großflächig angelegt, aber es fehlt an regionalen Untersuchungen. Wenn es diese geben würde, könnte man versuchen, Zusammenhänge herzustellen sowie regionale Unterschiede aufzudecken. Ebenso kann man nur dadurch, dass Umfragen erstellt werden, sehen, ob bestimmte Maßnahmen, die man ergriffen hat, auch Wirkungen entfalten und in welchem Bereich.
Sehr spannende Sachen, danke für die Anregungen! Wie begegnet dir das Niederdeutsche denn jetzt nach deiner Auseinandersetzung in der Masterarbeit?
Seit ich diese Studie angefangen hatte, ist das Niederdeutsche auch in meinem Umfeld tatsächlich ein sehr präsentes Thema geworden, weil sehr viele Menschen, mit denen ich noch Kontakt habe, auch von Rügen kommen. Und dann haben wir angefangen, darüber zu reden, wer das denn spricht und wer nicht und dann ist es bei uns vorgekommen, dass jene, die noch Niederdeutsch sprechen, als wir abends zusammengesessen haben, in einen Schnack verfallen sind. Durch meine Auseinandersetzung mit der Sprache hat es bei vielen Leuten in meinem Umkreis einen Impuls gegeben, sich selbst mehr damit auseinander zu setzen und damit ist es auch für uns präsenter geworden.
Das ist ein schöner Impuls, den du mitgibst und vielleicht auch eine Ermutigung, dass man einfach mal damit anfängt und dann zieht der Freundeskreis eventuell nach. Vielen Dank für das Interview!
Weiterführende Literatur
- Adler, Astrid; Christiane Ehlers; Reinhard Goltz; Andrea Kleene; Albrecht Plewnia (2016): Status und Gebrauch des Niederdeutschen 2016. Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung. Mannheim: Eigenverlag des Instituts für Deutsche Sprache. Arendt, Birte (2010): Niederdeutschdiskurse. Spracheinstellungen im Kontext von Laien, Printmedien und Politik. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
- Förster, Nico (2022): „Zur Gefährdung des Niederdeutschen auf Rügen und Hiddensee“. In: Quickborn. Zeitschrift für plattdeutsche Sprache und Literatur 112(2). 23–33.
- Möller, Frerk (2008): Plattdeutsch im 21. Jahrhundert. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Leer: Schuster.
- Neumann, Lara und Ingrid Schröder (2017): „Zur Bewertung von Niederdeutsch und lokalem Substandard in Hamburg“. In: Linguistik online 85.6, S. 227–255.
- Smits, Tom F. H. und Gunther De Vogelaer (2016): „Beherrschung und Perzeption von Platt in der deutschen Grenzstadt Vreden: Daten aus drei Generationen“. In: Niederdeutsch: Grenzen, Strukturen, Variation, S. 73–92.
Interview führte Nadine Koop, Werkstudentin im Niederdeutschsekretariat