Der Sachverständigenausschuss des Europarates im Gespräch mit Vertreter*innen des Bundesraat för Nedderdüütsch und des Instituts für niederdeutsche Sprache Bremen
Über die aktuelle Situation des Plattdeutschen aus Sicht der Sprecher*innen in den acht Bundesländern ließ sich der Sachverständigenausschuss des Europarates im Rahmen des Monitoringprozesses der Europäischen Sprachencharta turnusmäßig in Gesprächen am 23. Mai in Bremen und am 24. Mai in Berlin informieren. Beim Gespräch in Bremen, an dem neben Vertreter*innen des BfN auch Vertreter*innen des INS teilnahmen, nahm die aktuelle Situation des INS einen breiten Raum ein. Dabei wurde erneut deutlich, welchen Schaden die Kündigung des Finanzierungsabkommens seitens der Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angerichtet hat. Ob das durch die Länder neu gegründete Länderzentrum für Niederdeutsch die entstehende Lücke füllen kann, die bisher das INS u. a. im Rahmen von Unterstützung in Lehrerfortbildungen, Bearbeiten von Anfragen zu plattdeutschen Ortstafeln und der Mitwirkung und Unterstützung von Projekten im plattdeutschen Sprachgebiet, wissenschaftlicher Grundlagenarbeit, geleistet hat, bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzuwarten.
Sowohl im Gespräch in Bremen – mit Vertreter*innen aus Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – als auch während des Treffens in Berlin – mit Vertreter*innen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt – interessierte sich der Sachverständigenausschuss über konkrete Entwicklungen in den Chartabereichen Bildung, Kultur, Soziales, Medien und Verwaltung. In Bezug auf den Bildungsbereich wurde deutlich, dass in den Ländern unterschiedliche Entwicklungen im Berichtszeitraum zu erkennen sind. So konnte z. B. in Schleswig-Holstein an 30 Grundschulen Niederdeutsch als Fachunterricht aufgebaut und fest etabliert werden. Niedersachsen plant mit einem Bündel von begleitenden Maßnahmen die Einführung eines Schulfaches Niederdeutsch, während die vor Jahren positiven Ansätze mit der Einführung eines Faches Niederdeutsch an Hamburger Schulen stagnieren. Für die Teil II-Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt halten die Sprechervertreter*innen die Einführung eines Schulfaches Niederdeutsch für existentiell für die Schutz der Regionalsprache. In beiden Gesprächen wurde betont, dass in den Bereichen Medien und Verwaltung, die Möglichkeit, die niederdeutsche Sprache selbstverständlich und strukturell verankert zu repräsentieren, bei weitem nicht ausgeschöpft werde. Hier sind alle Länder aufgefordert, Änderungen im Sinne der gezeichneten Maßnahmen der Europäischen Sprachencharta vorzunehmen.
Download der Pressemitteilung zum Besuch des Sachverständigenausschuss des Europarates
Zwei weitere Berichte von Delegierten des BfN, die an dem Gespräch in Bremen teilgenommen haben:
Über die aktuelle Situation des Plattdeutschen in den vier Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ließ sich der Sachverständigenausschuss des Europarates turnusmäßig informieren. An der Sitzung, die diesmal in Bremen stattfand, nahmen von der Sprechergruppe Vertreter/innen des Bundesrats für Niederdeutsch (BfN) und des Instituts für Niederdeutsch (INS) teil. Großen Raum in dem Informationsaustausch nahm die Situation des INS ein. Dabei wurde erneut deutlich, welchen Schaden die Kündigung des Finanzierungsabkommens seitens der vier Bundesländer angerichtet habe und wie unverständlich bis heute dieses Vorgehen sei. Der Vorsitzende des Sachverständigenausschusses, Igor Lakic´aus Montenegro, erinnerte daran, dass er in einem Schreiben an das Bundesinnenministerium seine Irritation über den Schritt deutlich gemacht und darum gebeten habe, die Entscheidung zurückzunehmen. Eine Antwort liege allerdings bisher nicht vor. Deutlich wurde ebenfalls, dass es bis heute für wesentliche Aufgaben des INS keinen Ersatz gebe. Auch das neu geschaffene Länderzentrum könne, zumindest bisher, keine Abhilfe schaffen, z. B. wenn es um wissenschaftliche Arbeiten für oder über das Plattdeutsche gehe. Das sei auch als Verstoß gegen die Charta für Regional- oder Minderheitensprachen in Europa zu werten, hieß es aus Kreisen der Kommission. Schon bisher sei eine erhebliche „Versorgungslücke“ entstanden, betonte der Präsident des INS-Vereins, Heiko Block.
Die Vertreter/innen des Bundesrates für Niederdeutsch berichteten anschließend aus ihren Ländern über die Bereiche Bildung, Kultur, Soziales, Medien und Vernetzung. Dabei wurde deutlich, dass in Hamburg nach einem guten Start in den Grundschulen inzwischen Ernüchterung eingekehrt sei, wogegen sich in Niedersachsen nach langer Zeit nun endlich etwas zu bewegen scheine. In Bremen wurden die wenig verlässlichen Strukturen beklagt, in Schleswig-Holstein gebe es in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt mit dem Handlungsplan Sprachenpolitik, einen deutlichen Aufschwung im Bereich Bildung. Allgemein wurde die Forderung geäußert, dass die Länder neben der Schaffung verlässlicher Strukturen unbedingt auch konkrete Ziele für die Zukunft formulieren müssten. Einhellig wurde die Situation der Sprache in den Medien beklagt. Hier wurden neben verlässlichen Sendezeiten vor allem die fehlenden Angebote außerhalb des Unterhaltungsbereichs angesprochen. Es dürfe nicht vorwiegend über Plattdeutsch berichtet werden, sondern grundsätzlich müsse die Sprache in jedem Ressort zum Einsatz kommen. Das gelte sowohl für die Print- wie auch für die elektronischen Medien.
Heiko Gauert, Delegierter im BfN für Schleswig-Holstein
Einen breiten Raum nahm beim routinemäßigen Gespräch des Expertenkomitees des Europarates zum Staatenbericht zur Europäischen Sprachencharta die Einstellung der Finanzmittel der Geberländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein für das Institut für niederdeutsche Sprache in Bremen (INS) ein. Mit Ende des Jahres 2017 erhält das Institut keine Mittel mehr. Die Länder haben hingegen mit Beginn des Jahres 2018 ein Länderzentrum für Niederdeutsch begründet, dass mit der Einstellung einer Geschäftsführerin am 01.03.2018 seine Arbeit aufnahm. Das Expertenkomitee wollte u. a. wissen, ob das neue Länderzentrum die entstehende Lücke füllen kann, die bisher das INS u. a. im Rahmen von Unterstützung in Lehrerfortbildungen, Bearbeiten von Anfragen zu plattdeutschen Ortstafeln und der Mitwirkung und Unterstützung von Projekten im plattdeutschen Sprachgebiet, wissenschaftlicher Grundlagenarbeit, geleistet hat. Die Vertreter des Bundesrates für Niederdeutsch (Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) betonte, dass die Kompetenz des INS hier sicher in Zukunft fehlen werde. Ob das neu begründete Länderzentrum für Niederdeutsch diese Aufgaben nach einer Phase des Aufbaus übernehmen und bewältigen kann, bleibe abzuwarten.
Auf den Bereich Plattdeutsch im Kindergarten, Vorschul- und Grundschulbereich angesprochen, wurde deutlich, dass es in den Ländern hier ganz unterschiedliche Ansätze gibt. So konnte in Schleswig-Holstein an 27 Grundschulen Niederdeutsch als Fachunterricht aufgebaut und fest etabliert werden, während die vor Jahren positiven Ansätze mit der Einführung eines Faches Niederdeutsch an Hamburger Schulen stagnieren, bzw. neue Anläufe zur Zeit nicht erkennbar sind. In Niedersachsen konnte auf der Grundlage des Erlasses von 2011 „Die Region und ihre Sprachen im Unterricht“ die Regionalsprache Niederdeutsch im Rahmen von freiwilligen Arbeitsgemeinschaften und Starter- und Projektschulen Fuß fassen. Unterstützt durch ein Netz von Berater*innen für Niederdeutsch der Landesschulbehörde gab es hier zahlreiche Fortbildungen und auch einen Spracherwerbskurs Niederdeutsch für interessierte Lehrkräfte, der im Berichtszeitraum mit großer Resonanz 2x in jeweils 4 Wochenmodulen durchgeführt wurde. Der Erlass läuft mit dem Ende des Jahres 2018 aus, wird aber nach Beratungen Vertreter*innen des niedersächsischen Kultusministeriums, der Sprechergruppe und der Fachgruppe Niederdeutsch im Niedersächsischen Heimatbund um einige notwendige Aspekte, die die Verbindlichkeit und Kontinuität des Angebotes Niederdeutsch an den Schulen betrifft, erweitert. Eine im Berichtszeitraum mehrmals zusammengetretene interministerielle und interfraktionelle Arbeitsgruppe hat einen Entschließungsantrag zur Förderung und Unterstützung der niederdeutschen Sprache vorbereitet, der vom Parlament einstimmig angenommen wurde und nach der letzten Wahl auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Der Entschließungsantrag sieht den konsequenten Ausbau eines Faches Niederdeutsch an der Universität Oldenburg vor, sowie die Einführung eines Schulfaches Niederdeutsch. Die Sprechervertreter aus Bremen und Nordrhein-Westfalen konnten hierzu keine positiven Projekte und Initiativen berichten.
Beklagt wurde im weiteren Verlauf des Gespräches, dass es im Bereich Medien, deutlich Potential gäbe, die niederdeutsche Sprache hier stärker selbstverständlich und strukturell verankert zu repräsentieren. Auch im Bereich Verwaltung gibt es in allen Ländern keine Fortschritte. Anträge und Formulare werden nicht in niederdeutscher Sprache vorgehalten; eine Trauung auf dem Standesamt kann zwar in der Zeremonie in niederdeutscher Sprache stattfinden, die Bestätigung der Trauung muss aber immer in hochdeutscher Sprache gezeichnet werden. Hier gilt es, entsprechend der Sprachencharta, Änderungen vorzunehmen.
Heinrich Siefer, Delegierter im BfN für Niedersachsen