Interview mit Lara Neumann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg
Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Moin, ich bin Lara Neumann, 31 Jahre alt und ich komme aus Hamburg. Ich habe in Hamburg Germanistische Linguistik studiert und bin seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Niederdeutschen Abteilung am Institut für Germanistik der Uni Hamburg.
Wie ist Ihr persönlicher Zugang zu Niederdeutsch?
In meinem familiären Umfeld gibt es keine Berührungspunkte mit dem Plattdeutschen: Mein Vater ist zwar gebürtiger Hamburger, aber hochdeutsch aufgewachsen, meine Mutter ist Libanesin und Ende der 70er nach Hamburg gekommen. Lustigerweise erzählte sie aber mal, dass ihre ersten beigebrachten Worte „Wie geiht di dat?“ waren. Bis auf ähnliche sporadische Erfahrungen bin ich verstärkt erst durch die Seminare und Vorlesungen an der Uni mit dem Niederdeutschen in Berührung gekommen.
Sie führen an der Universität Hamburg das Forschungsprojekt „Jugendsprache Niederdeutsch? Sprachgebrauch und Spracheinstellungen von Hamburger Jugendlichen“ durch. Können Sie uns das Projekt kurz vorstellen?
In dem Forschungsprojekt untersuchen wir den Sprachgebrauch und die Sprachbewertungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Hamburg, vor allem in Bezug auf das Niederdeutsche. Es interessiert uns, in welchen Kontexten sie mit dem Niederdeutschen in Kontakt kommen und welche Gelegenheiten sie nutzen, die Sprache zu lernen oder zu sprechen. Außerdem überprüfen wir, welches Image das Niederdeutsche in den jüngeren Generationen hat. Welche Unterschiede sind zwischen Befragten mit und ohne Spracherfahrungen im Familien- und Nahbereich festzustellen, welche zwischen Befragten mit und ohne Migrationshintergrund? Welchen Beitrag zum Spracherhalt leisten Bildungs- oder Kultureinrichtungen (Schule, Theater etc.)? Mithilfe dieser Fragen möchten wir Prognosen über die zukünftige Entwicklung des Niederdeutschen stellen.
Wer sind Teilnehmende der Studie und nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt?
Neben dem Alter ist das zentrale Kriterium, dass die Teilnehmenden an den niederdeutschen Schul- oder Kulturangeboten Hamburgs partizipieren. Bislang haben wir neun Gruppen (27 Teilnehmende) befragt, die unter anderem beim Lesewettbewerb „Jungs un Deerns leest Platt“, beim Songcontest „PLATTBEATS“ oder im Jugendclub des Ohnsorg Theaters Erfahrungen mit dem Niederdeutschen gesammelt haben. Außerdem haben mehrsprachige Kontrollgruppen an der Studie teilgenommen, die bislang keine persönlichen Berührungspunkte zum Plattdeutschen hatten.
Welche Forschungsmethoden wenden Sie im Rahmen des Projektes an?
Im Projekt greifen wir auf verschiedene Erhebungsmethoden zurück. Zunächst haben die Teilnehmenden Fragebögen ausgefüllt, durch welche unter anderem soziodemografische Daten und Erfahrungen mit dem Niederdeutschen erhoben wurden. Anschließend wurden Gruppeninterviews geführt, in welchen wir mithilfe verschiedener Methoden Spracheinstellungen und Stereotype elizitieren (Assoziationen zu Bildern und Sprachproben, Fantasiereise). Um darüber hinaus einen Einblick in die Sprachkompetenz zu erhalten, wurden zum Abschluss Sprachtests durchgeführt (Vorlesetext, Bildbeschreibungen).
Im Rahmen Ihres Projektes haben Sie die Teilnehmenden u.a. auf einen hochdeutschen und auf einen plattdeutschen „Planeten“ geschickt. Welche Ihrer Hypothesen haben sich hier bestätigt und welche wurden widerlegt?
Die Idee der Planetenreise war es, vorhandene Spracheinstellungen und Stereotype aufzudecken, insbesondere die Landschaft und die Personen betreffend. Die Teilnehmenden haben beschrieben, wie sie sich die Wohnorte auf den Planeten vorstellen oder welchen Berufen die dort lebenden Personen womöglich nachgehen. Dabei konnten wir einige geläufige Sprachstereotype wiederfinden, beispielsweise, dass Plattdeutsch mit Ländlichkeit und einer gemütlichen Atmosphäre in Verbindung gebracht wird. Im Gegensatz dazu wurde mit dem hochdeutschen Planeten Urbanität und Stress assoziiert. In diesen Punkten waren starke Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Gruppen festzustellen, wobei die Stereotypizität von mehreren Teilnehmenden erkannt und hinterfragt wurde.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus Ihrer Arbeit gewonnen haben? Gab es etwas, das Sie überrascht hat?
Besonders interessant finde ich die Ergebnisse zu der Frage, auf welchem Planeten die Teilnehmenden am ehesten eine Stadt wie Hamburg sehen. Von einigen Befragten wurde Hamburg auf dem hochdeutschen Planeten platziert, was zumeist mit der Urbanität oder der geringen Bedeutung im Sprachalltag begründet wurde; andere wiederum haben die Stadt mit dem Verweis auf einzelne Orte wie dem Hamburger Hafen dem plattdeutschen Planeten zugeordnet. Außerdem gab es Teilnehmende, die Hamburg zwischen den Planeten verortet oder als ein Mix beider wahrgenommen haben. Wenn man bedenkt, dass Niederdeutsch für die Mehrheit der Befragten keine kommunikative Relevanz im Alltag hat, ist es schon bemerkenswert, dass die Sprache weiterhin so stark mit Hamburg oder bestimmten Orten der Stadt verknüpft wird.
Unabhängig von Ihrer Forschungsarbeit: Inwieweit begegnet Ihnen Niederdeutsch als Jugendsprache in Ihrem Umfeld?
Ich nehme in meinem Umfeld hin und wieder plattdeutsche Einflüsse wahr, die sehe ich aber eher als Teil der Hamburger Alltagssprache. Manche tragen auch Shirts und Pullover, auf denen „Moin“ oder „Schietwetter“ steht, um ihre regionale Zugehörigkeit zum Ausdruck zu bringen.
Inwiefern hat sich Ihr Blick auf Niederdeutsch durch Ihre Forschungsarbeit verändert?
Durch die Arbeit habe ich nicht nur die Sprache an sich besser kennengelernt, sondern auch mein Bewusstsein für die Stereotype geschärft, die mit dem Niederdeutschen verbunden sind. Außerdem fällt mir regionale Sprache in meinem Alltag stärker auf, zum Beispiel in der lokalen Werbung oder in den sozialen Medien.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf Niederdeutsch als Jugendsprache in der aktuellen Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass künftig noch mehr Jugendliche und junge Erwachsene die Möglichkeiten nutzen, um mit dem Niederdeutschen in Kontakt zu kommen. Ich denke, dass das wichtig für ein positives Image der Sprache ist.
Das Interview führte Meret Buchholz, Werkstudentin im Niederdeutschsekretariat
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